Unter Selektivität versteht man, dass im Fehlerfall nur die dem Fehlerfall direkt vorgeschaltete Schutzeinrichtung auslösen darf. Sind also mehrere Schmelzsicherungen in Reihe hintereinander geschaltet, dann darf nur die letzte Schutzeinrichtung (Sicherung) vor der Fehlerquelle auslösen.
Was versteht man unter Selektivität?
Stellen wir uns vor in einem Elektrogerät entsteht durch einen technischen Defekt ein Kurzschluss, In diesem Fall sollte die vorgeschaltete Sicherung auslösen. Durch einen Kurzschluss können jedoch schlagartig so hohe Ströme entstehen, dass auch weitere vorgeschaltete Sicherungen auslösen könnten. Statt der Sicherung im im Stromkreisverteiler* beispielsweise auch die Vorsicherung im Zählerschrank. Um das zu verhindern müssen Sicherungen eine gewisse Abstufung haben, damit nur die dem Fehler direkt vorgeschaltete Sicherung auslösen kann.
Zwei in Reihe liegende Schmelzsicherungen sind dann selektiv, wenn ihre Bemessungsströme sich um den Faktor 1,6 unterscheiden. Wird einer Sicherung also eine andere vorgeschaltet, dann muss diese einen Nennstrom um 1,6x größer haben.
Beispiel für Selektivität:
Eine Maschine ist mit einer D0-Schmelzsicherung 16 A im Stromkreisverteiler abgesichert. Der Stromkreisverteiler wiederum ist im Zählerschrank ebenfalls mit einer D0-Sicherung vorgesichert. Wie groß muss der Nennstrom dieser Vorsicherung mindestens sein, damit Selektivität gewährleistet ist?
In diesem Fall gilt: 16A x 1,6 = 25,6A => Nächst größere Sicherung 32A
Einer 16A Sicherung muss also mindestens eine 32A Sicherung vorgeschaltet werden, damit zwischen diesen beiden Sicherungen Selektivität gewährleistet ist. Wäre eine 25A Sicherung vorgeschaltet, wäre im Fehlerfall nicht sichergestellt, dass die 16A und nicht die 25A Sicherung auslöst.
Beispiel der Abstufung von Sicherungen:
Abstufung von Sicherungen
Als Faustregel kann man sagen, dass in Reihe liegende Schmelzsicherungen* sich jeweils zwei Nennstromgrößen unterscheiden sollten um selektiv zu sein. Ist eine Unterverteilung zum Beispiel mit 50A abgesichert, dann wäre die nächste Größe (63A) als Vorsicherung nicht ausreichend. Hier müsste noch eine größe höher gewählt werden – 80A. Hier ist auch der Faktor 1,6 genau gegeben (50A x 1,6=80A)
Selektivität bei LS-Schaltern
Leitungsschutzschalter* sind grundsätzlich nicht selektiv. Bei einem Kurzschluss kann durch die Abstufung der Nennstromstärken nicht sichergestellt werden, dass Leitungsschutzschalter selektiv auslösen. Also auch, wenn mehrere LS-Schalter mit dem Faktor 1,6 hintereinander liegen ist nicht sichergestellt, dass nur der letzte LS-Schalter auslöst. Durch eine Abstufung der Nennströme ist zwar eine abgestufte Auslöstung bei Überlast gegeben, bei einem Kurzschluss gleicht es aber mehr dem Zufall, welcher LS-Schalter auslöst.
Eine Ausnahme stellt der Selektive Leitungsschutzschalter (SLS) dar.
Was sagt dir Norm?
Tatsächlich gibt es in der VDE keine explizite Forderung nach einer Selektivität von Schutzeinrichtungen. Es finden sich zwar an verschiedenen Stellen in der VDE Hinweise, wie Selektivität erreicht werden kann. Eine explizite Forderung diese auch umzusetzen gibt es jedoch nicht.
So finden sich in der VDE 0100-530 unter 535.1.3 und 535.2.2 zwar Aussagen zur Selektivität. Jedoch keinerlei Forderung, dass diese umgesetzt werden müssen.
Ausnahme: Anlagen für Sicherheitszwecke
Eine Ausnahme stellt die VDE 0100-560 unter Abschnitt 563.4 dar. Hier wird auch eine Selektivität gefordert. Jedoch bezieht sich diese Norm nur auf elektrische Anlagen mit Sicherheitszwecken. Diese ist also auf „normale“ elektrische Anlagen nicht anzuwenden.
Forderung der Technischen Anschlussbedingungen (TAB):
6.2.3 Koordination von Schutzeinrichtungen
(1) Planer und Errichter der elektrischen Anlage berücksichtigen, dass Selektivität zwischenden Überstrom-Schutzeinrichtungen in der Kundenanlage und denjenigen im Hauptstromversorgungssystem sowie den Hausanschlusssicherungen besteht.
(2) In Hauptstromversorgungssystemen sind die Schutzeinrichtungen gemäß DIN VDE0100-530 selektiv auszuführen.
Diese Forderung der TAB bezieht sich aber lediglich auf eine Selektivität der Kundenanlage zum Hauptstromversorgungssystem. Desweiteren gibt es noch die Forderung nach DIN 18015 und auch TAB, dass im Fehlerfall nur ein möglichst kleiner Teil einer Anlage ausfallen darf.
Fazit
Wie so oft ist die Frage nach geforderter Selektivität nicht aus einer einzelnen Norm mit ja oder nein zu beantworten. Dennoch sollte Selektivität in einer elektrischen Anlage immer gegeben sein. Auch wenn es die VDE nicht explizit für alle Bereiche fordert, sollten Sicherungen ohne Ausnahme immer selektiv zueinander ausgeführt sein. Eine Elektrofachkraft lernt daher von Anfang an mit dem Selektivitätsfaktor 1,6 zu arbeiten.
Literatur
- Spahic, Benjamin(Autor)